Preisträger
Preisträger
2024
1. Preis
Frank Krems
»Spezial Operation«
Begründung der Jury: Frank Krems Schwarzweiß-Bildserie Spezial Operation nimmt ihren Ausgangspunkt in Bildern und Berichten von Russlands 2022 begonnenem Angriffskrieg gegen die Ukraine und in seiner eigenen, dadurch aktivierten „imaginären Vergangenheit“, wie Krems selbst schreibt:
„Wenn wir tatsächlich die Traumata unserer Eltern weitertragen, ist dies wohl der Grund, weshalb mich die jetzige Situation so sehr berührt. Die Orte, von denen nun zu hören und zu lesen war, waren Orte, die ich aus Erzählungen kannte. Und mir wurde zum ersten Mal bewusst, dass der Russlandfeldzug, an dem mein Vater als Soldat teilgenommen hatte, tatsächlich in der Ukraine stattgefunden hatte.“
Krems fertigte Screenshots von POV-Reels und Drohnenvideos an, die er in den Sozialen Medien fand. POV bedeutet ‚Point of View‘ und verweist auf Kamerablicke, die Betrachter:innen an die Stelle der Filmemacher:innen versetzen. Die Pixel der Bilder wirken durch die Vergrößerung und Krems‘ Bildbearbeitung fast malerisch und manchmal sogar wie ein Krakelee. Die Nahsichten und Ausschnitte rufen Historienmalerei wie Filmstills ins Gedächtnis – eine alte Frau mit Kopftuch, die einen Soldaten küsst – das Brustbild eines Piloten mit Helm, der düster über seine Schulter in die Kamera blickt – schemenhafte Gestalten von schießenden Soldaten, die sich offenbar aus einer Halle nach Draußen bewegen, ins gleißende Gegenlicht – ein Gefangener, der rückwärts, an seinen Armen durch Gras geschleift wird – ein Fadenkreuz, dass dem Kopf einer verschwommenen Gestalt angenähert wird …
Die Reihe der matten Prints auf einfachem, dünnen Karton ließ Krems im Ausstellungsraum direkt an die Wand tackern. Eine brutale Geste, die beim Betrachten fast körperlich wehtut. Krems Kriegsbilder sind Nah- und Distanzsichten zugleich: medial und real, historisch und gegenwärtig, kollektive, innere Bilder und singuläre Momente, die Soldaten erlebt haben und die so abstrakt-unwirklich wirken, wie Krieg nicht zu begreifen ist.
2. Preis
Anja Engelke
»Sleeping by the Dataflow«
Begründung der Jury: Schon lange haben Fotografen auch Ikonen der Fotografiegeschichte interpretiert, sie befragt, ironisiert, verfremdet, sie als „Re-Makes“ in Ausstellungen präsentiert. Dabei geht es immer wieder auch darum, sich und die eigene Arbeit historisch zu verorten, die Gegenwart ins Spiel zu bringen, die Beziehung von Kunst und Technologie neu zu gewichten.
Der monumentale Fotoessay »Sleeping by the Mississippi« wurde 2004 zum ersten Mal publiziert. Er brachte Alec Soth den weltweiten Durchbruch als fotografierender Künstler. Zwanzig Jahre später wird von Anja Engelke eine Technologie angewandt, die derzeit immer weitere Felder erobert und heiß diskutiert wird: Künstliche Intelligenz, AI. Aus den Wassermassen des Flusses ist nun der unendliche Datenfluss geworden. Die in der Ausstellung sichtbaren fotografischen Bilder geben sich schnell als Klone zu erkennen. Fein gerahmt werden die prompts zitiert, die von einer spezialisierten Software nach einer ersten Bildanalyse geliefert wurden. Die Ergebnisse der softwarebasierten Neuinterpretation erstrahlen in eigentümlicher Brillanz auf der Ausstellungswand.
3. Preis
Huseyin Ovayolu
»UPROOTED«
Begründung der Jury: Huseyin Ovayolus Fotoserie Uprooted (deutsch ‚entwurzelt‘), vertritt im allerbesten Sinne klassische analoge Dokumentarfotografie. In seinem über sieben Jahre – von 2016 bis 2022 – und durch 12 Länder laufenden Langzeitprojekt verfolgte der Fotograf die Frage, „wo Heimat wirklich ist und was es bedeutet, ohne Heimat zu sein“. Dabei entstanden Bilder von hoher Intensität und Dringlichkeit, die unmittelbar berühren und sich ins Gedächtnis einschreiben.
Ovayolus Schwarzweiß-Fotografien bilden keine zusammenhängende Erzählung, obgleich man unweigerlich versucht, die Bilder miteinander zu einer Geschichte zu verknüpfen. Die Einzelbilder sind aber vielmehr Variationen über das Thema. Die breiten Fotografien im Panorama-ähnlichen Format deuten jede für sich Schicksale an, die nicht ausformuliert werden, sondern Fragment bleiben, Momentaufnahmen bis zur Essenz kondensiert. Sie teilen und vermitteln die gleiche, vielfach überlieferte Grunderfahrung von Migration: „We did not cross the border, the border crossed us.“
Residenzpreis
Nazanin Hafez
»Discrete«
2023
1. Preis
Sebastian Wells (D) / Vsevolod Kazarin (UA)
»Portraits from Kyiv, Ukraine, April and May 2022«
Begründung der Jury: Eine gewagte Kombination ist das: Modefotografie und Krieg. Die Fotografien von Sebastian Wells und Vsevolod Kazarin verbinden beides auf sehr sensible Weise, ohne plakativ oder polarisierend zu sein. Sie entstanden im Frühjahr 2022 in Kiew und zeigen Jugendliche in sanft angedeuteten Posen der Modefotografie; in einer Welt, in der mit Mühe eine Art Alltag aufrechterhalten wird. Die Nationalfarben einer rostigen Kinderrutsche, Sandsäcke und eine Panzersperre – der Krieg drängt sich im Hintergrund ins Bild. Die Protagonisten, Yelizaveta und ihr Sohn Mark, Lena, Nikita, Diana oder Alex, sie umarmen sich fest, sitzen auf etwas, lehnen sich an Zäune, Betonklötze oder Erdhaufen an – als klammerten sie sich an dieses Land, an ihre Heimat. Sie alle bemühen sich, Haltung zu bewahren, zeigen dabei aber auch ihre Verletzlichkeit. (Angela Matyssek)
2. Preis
Aaron Ricketts (US)
»A Serious Case of Something That Should Probably Be Checked Out But In Reality You’ll Just Try To Sleep It Off (RED)«
Begründung der Jury: Mit Aaron Ricketts »RED« prämieren wir das Titelfoto des aktuellen PORTRAITS Jahrgangs. Zugleich ist es das erste Mal im Wettbewerb, dass ein Einzelbild – keine Serie – prämiert wird. »RED« hat uns überzeugt als inszenierte Fotografie: Im Passbildformat wendet sich der junge, formal in Hemd, Krawatte und Sakko gekleidete Mann aus dem Bild, blickt nach oben, zur Lichtquelle, oder, wenn sie mögen, zum Himmel, in höhere Sphären. Er wirkt aber auch leicht genervt. Das Thema des Bildes ist die Hautfarbe; die Bildsprache quasi-surrealistisch. Das Porträt wirkt überstrahlt, beleuchtet, vielleicht gefärbt, es wird zum Rot, dem Titel des Bildes (Redfacing sozusagen). Der Fotograf schreibt: „Eine ernsthafte Angelegenheit, die wahrscheinlich untersucht werden sollte, nur in der Realität werden Sie versuchen, es einfach weg zu schlafen.“ – Also nicht weiter darüber nachzudenken. (Stefan Krauth)
3. Preis
Ivonne Thein (DE)
»disobedient bodies«
Begründung der Jury: „Es ist zum aus der Haut fahren!“, lautet ein Ausruf – und gerade eben dies geht nicht. Sie, die Haut, umgibt den Menschen, sie hängt ihm an, no escape, kein Ausweg. Sie definiert die Grenze und den Übergang zwischen dem Ich und dem Anderen, sie stellt – so wie das Thema des diesjährigen Wettbewerbs lautet – die Oberfläche. Sie bildet das größte Organ des Menschen, hüllt, schützt, reguliert, erneuert sich ständig, altert, sie läßt Emotionen sichtbar werden und zeigt das Leben her. Die Bilder der Serie sind Aspekten des Körpers jenseits von gängigen Schönheitsidealen gewidmet. Altern und Krankheit stehen im Fokus. Es gibt die changierenden Farben von Körperoberflächen und -partien, hautfarbene Textilien, Prothesen und Spezialgeräte in Schwarzweiß-Fotografien. Es sind dies keine schönen Bilder. Sie machen indes sichtbar, dass es klarer konzeptueller Entscheidungen bedarf, um das Schwierige ästhetisch angemessen vorzutragen. Eine Gratwanderung, fotografisch. (Andreas Krase)
Residenzpreis
Sitara Thalia Ambrosio (D)
»Fragile as Glass«
2022
1. Preis
Hannah Altman (US)
»A Permanent Home in the Mouth of the Sun«
Begründung der Jury: Hannah Altman führt uns in eine Welt ein, die wir so kaum noch in Deutschland kennen und die uns daher heute zumeist diasporisch als “Gegenüber” begegnet. In einer selten so sinnlich und erfahrbar gezeigten Weise bringt uns die Künstlerin in inszenierten Porträts, Sinnbildern, Momenten und Ritualen eine jiddische Folklore nahe, die uralte und doch immer wiederkehrende Erfahrungen verarbeitet und zum Ausdruck bringt. Sie zeugen von Schmerz und Heilung, von Exil und Suche nach Heimat, von Verwandtschaft und Selbstfindung. Man spürt in den Bildern das Bedürfnis Altmans, etwas festzuhalten und es uns gleichzeitig auch mitzuteilen. In der Welt der Diaspora sind Wissen, Worte, Überlieferungen, traditionelle Handfertigkeiten und Kenntnisse unveräusserliche, stets relevante, praktische und nützlichste Besitzstände, die jede/r jederzeit bei sich trägt. Sie sind wie Samen in der Tasche, die Neuanfang, Nahrung und Halt versprechen. Und auch diese Aufnahmen Altmans sind eine solche Saat. Latent und doch greifbar zeigen sie auf eine fruchtbare Zukunft, die dabei von einer langen Geschichte zu erzählen wissen. Altmans Bilder überzeugen, weil sie den fotografischen Augenblick in einen erweiterten Zeitbegriff von gestern, heute und morgen zu übersetzen wissen, dabei aber nicht zeitlos werden, sondern eher eine dauerhafte Präsenz—a lasting presence—vermitteln können. (Daniel Blochwitz)
2. Preis
Alexander Komenda (CA/PL)
»Jove’s Palace«
Begründung der Jury: Alexander Komenda, der kanadische Fotograf mit osteuropäischen Wurzeln, nimmt uns in seiner Serie »Jove’s Palace« auf die Reise nach Mailuusuu in Kirgistan. Die Stadt zählte in den Zeiten vor 1990 zu den Hauptzentren des Uranerzeisenabbaus und seiner Verarbeitung in der Sowjetunion. Nach dem Fall der Sowjetunion und dem Erlangen der Unabhängigkeit durch Kirgistan wurden die Uran-Betriebe geschlossen. Was blieb, war nicht nur die Arbeits- und Aussichtslosigkeit unter der Stadtbevölkerung, sondern auch eine starke Kontamination des Bodens und des Grundwassers. Der Autor bedient sich in der Fotostrecke einer Mischung von Momentaufnahmen, die seinen journalistischen Blick unter Beweis stellen und von unaufdringlich inszenierten Einstellungen. Mit ihnen setzt er gekonnt an den richtigen Stellen Akzente, die den dynamischen Stil der Erzählung unterstreichen und die Höhepunkte markieren. Die Bildsprache bleibt zugleich subtil und indirekt. Die Kinder, die auf mehreren Motiven der Serie zu sehen sind, können von dem Betrachter symbolisch sowohl als die Wehrlosigkeit der Einwohner gegenüber den Folgen der Vergangenheit als auch ihre Zukunftssorgen interpretiert werden. (Tomasz Lewandowski)
3. Preis
Daniel Seiffert (DE)
»TRABANTEN«
Begründung der Jury: Daniel Seifferts »Trabanten« ist eine Arbeit, die das Versprechen einer anderen Zeit in ernüchternder Weise offenlegt. Dem diesjährigen Festivalthema »Counterparts« folgend, nähert sich Seiffert einer Wohnstadt, die er nur gefühlt, aber nicht aus der direkten Nähe kannte. Seine Bilder zeigen uns ein Gegenüber, das als Synonym für gescheitert steht. Aber nicht zuletzt bezieht es sich auch auf ein gescheitertes politisches System, das oft auf gleichmacherische Plattenbauten reduziert wird. Das in jeder einzelnen genormten Wohnung ein individueller Lebensentwurf steckt, bleibt meist unerwähnt. Seiffert versucht aber genau auch das in seinen Bildern mit einzufangen.
Dass Seiffert aus dem Ostteil der Stadt kommt und Gropiusstadt im Westteil Berlins liegt, gibt der Arbeit eine zusätzliche politische Dimension. Das uns — scheinbar auch nach über 30 Jahren — noch Trennende wird hier ad absurdum geführt, weil es zeigt, wie sehr Geschichte gerade in Deutschland nicht in Himmelsrichtungen zertrennbar ist. Es gab und gibt hier wie dort kein “richtiges Leben im falschen”. Es fanden und finden sich auf allen Seiten Ideen, die gut gemeint sein können und trotzdem an den Verhältnissen scheitern. (Daniel Blochwitz)
Residenzpreis
Svante Gullichsen (FI)
»Hanging On«
2021
1. Preis
Rafael Heygster & Helene Manhartsberger (DE)
»Corona Rhapsody«
2. Preis
Tim Franco (KR)
»Unperson I Portraits of North Korean Defectors«
3. Preis
Manuel Frolik (DE)
»Polaroids and Daguerreotypes«
Residenzpreis
Natalia Kepesz (PL)
»Niewybuch«
2020
1. Preis
Rosa Mariniello (IT)
»VITILIGO«
2. Preis
Ingar Krauss (GER)
»Wanderarbeiter«
3. Preis (doppelt vergeben)
Milan Gies (NL)
»State of Identity«
3. Preis (doppelt vergeben)
Raul Ariano (CN)
»LGBT in China«
Residenzpreis
Agata Wieczorek (PL)
»Fetish of the Image«
2019
1. Preis
Snezhana von Büdingen (GER)
»Permer Frost«
2. Preis
Kurt Hörbst (GER)
»People Scans«
3. Preis
Sara Swaty (USA)
»Harrison: In Transition«
Residenzpreis
Mary Gelman (RUS)
»Svetlana«
2018
1. Preis
Matthew Hamon (USA)
»The Gleaners«
2. Preis
César Dezfuli (ES)
»Passengers«
3. Preis
Paul Damen (NL)
»Japan Up Close«
Residenzpreis
Robin Yong (AUS)
»Flowers of Ethiopia«
2017
1. Preis
Sadegh Souri (IRN)
»Waiting Girls«
2. Preis
Stefan Krauth (GER)
»in Amerika«
3. Preis (doppelt vergeben)
Sonja Hamad (GER)
»Jin – Jiyan – Azadi: Women, Life, Freedom«
3. Preis (doppelt vergeben)
Jens Juul (DNK)
»Six degrees of Copenhagen«
2016
1. Preis
Elena Anosova (RUS)
»Section«
2. Preis
Thomas Bachler (GER)
»photoshooting«
3. Preis
Anja Bohnhof (GER)
»Bahak – Die Last der Dinge«
Residenzpreis
Stefanie Minzenmay (GER)
»Protected Privacy – Protect Yourself«